Immer Tofte


Willy und Käthe Klein gehören zur Cranger Kirmes wie Riesenrad, Backfisch und Losbude. Das Ehepaar führte früher eine Wein- und Spirituosenhandlung in Wanne-Eickel und verkauft seinen selbst kreierten Herrenlikör auch heute noch – auf der Kirmes.

Wanne-Eickel. Die Heimat zu verlassen und an einem fernen, unbekannten Ort Wurzeln zu schlagen, ist mit vielen Unwägsamkeiten verbunden. Wie ist es um die berufliche Zukunft bestellt? Wie wird man sich zurechtfinden und eingewöhnen in der Fremde? Willy Klein hat diesen Schritt getan und ist mit seiner Frau Käthe von Bottrop in die weite Welt gezogen – nach Wanne-Eickel.

Das war vor 44 Jahren, als sich das Ehepaar mit einer Wein- und Spirituosenhandlung selbstständig machte. Was beide damals noch nicht ahnen konnten: Willy und Käthe Klein gehören zur Cranger Kirmes wie Riesenrad, Backfisch und Losbude – ihrem „feinen Wanne-Eickeler Herrenlikör” mit Namen „Immer Tofte” sei Dank.

Die Regale der Supermärkte nach diesem Kräuterelixier abzusuchen, lohnt die Mühe nicht. Die Spezialität wird nur in Wanne-Eickel und nur an der Hauptstraße 412 ausgeschenkt, auf einem der zahlreichen Hinterhöfe, die sich zu Kirmeszeiten in Biergärten verwandeln. Dort treffen sich dann Freunde, Bekannte und Nachbarn, Hobbyradler, Fußballamateure, Skifahrer, Kegelklubmitglieder, Kirchenchorsänger und Menschen, die man das ganze lange kirmeslose Jahr über nicht gesehen hat. Sie kommen, um sich auf den Bummel über den Rummel vorzubereiten und kehren wieder ein, um den Rundgang bei einem Absacker ausklingen zu lassen.

„Die Cranger Kirmes ist immer ein Erlebnis für uns”, sagt der 76-Jährige, auch heute noch. Dass er selbst einmal ein Teil des Volksfestes sein würde, hat sich Willy Klein nicht träumen lassen: „In Bottrop kennt man ja nur die Kirmes am Trappenkamp.” Ein bisschen Rummel an einem verlängerten Wochenende jeweils im Frühjahr und im Herbst. Mit Unterstützung von Käthe (74), den Söhnen, Schwiegertöchtern und Enkelkindern wird der Stand in Crange jedes Jahr aufs Neue aufgebaut, an jedem Mittag ein- und spät in der Nacht wieder ausgeräumt. Dort werden der Herrenlikör und feine Weine aus dem Rheingau ausgeschenkt, auch Dortmunder Bier gibt es und natürlich auch Getränke ohne Alkohol. Bratwürstchen, Fleisch vom Grill und warme Fleischwurst, das überlassen die Kleins den Wirten von den Nachbarhöfen.

Es waren andere Zeiten, als Familie Klein nach Wanne-Eickel kam. Da war die Dürerstraße, die damals noch Goethestraße hieß, eine vorzeigbare Adresse. Und die Herstellung von Spirituosen die Sache von kleinen Brennereien, die man gleich an der nächsten Straßenecke finden konnte. Als Kunden im Kleinschen Wein- und Spirituosenhandel auch schon mal nach Bier fragten und der ausgebildete Kaufmann, Destillateur und Absolvent der Weinbauschule in Geisenheim immer auf die Konkurrenz von nebenan verweisen musste, kam irgendwann die Idee mit dem Bierverkauf.

Und es war die Zeit, als Frauen an Kirsch mit Rum, Kakao mit Nuss oder an grünem Pfefferminzlikör nippten. Willy Klein: „Es bestand Interesse daran, von der Süße wegzukommen.” Es sollte etwas Herberes her, aber bitte nicht so bitter, dass der Magen brennt.

Willy Klein fand die richtige Kräutermischung und Balance, fügte 41 Prozent Alkohol dazu – und stand noch ohne Namen für die neue Kreation da. Der feine Unterschied in der Ruhrgebietssprache, die für den frisch nach Wanne-Eickel gezogenen Bottroper so auffällig war, wies ihm den Weg. Willy Klein erinnert sich: „In Wanne-Eickel hieß es: Der ist tofte. Oder: Gestern war tofte.” Und überhaupt: Die Kirmes ist – na klar – immer tofte. Schon stand der Name für den neuen Schnaps fest.

Ausgeschenkt wurde der Schnaps in einem Bierwagen, der mal am Rande der Kirmes und für viele Jahre auch mitten auf dem Platz in der Nähe der Achterbahn zu finden war. Seitdem hat sich vieles verändert. Die Branntweinsteuer und der Zeit- und der Schnapsgeschmack haben den Alkoholgehalt der Spirituosen nach unten gedrückt, die Stadt Herne als Veranstalter der Cranger Kirmes hat sich strenge Richtlinien für die Auswahl der Kirmes-Beschicker gegeben. Die Folge: Der Bierwagen hätte für eine Investition in sechsstelliger Höhe aufgehübscht werden müssen.

Viel Geld für ein Geschäft, das nicht länger als zehn Tage im Jahr läuft. Da kam das Angebot eines Stammkunden gerade recht. „Hier habt ihr meinen Hof und macht ‚was draus”, sagte er zu den Kleins und stellte ihnen die schmale Zufahrt zur Garage zur Verfügung. Das war vor 19 Jahren. Zwar hängt ein großes Schild mit der Aufschrift „Biergarten Willy Klein” drüber, doch eingeklemmt zwischen den bunten Buden der Kirmesleute ist die Hinterhof-Gastronomie leicht zu übersehen. Werbung dafür zu machen, das brauchen die Kleins nicht. Der Biergarten und sein Betreiber sind in Wanne-Eickel so bekannt, dass sie sogar auf einen „1. Willy-Klein-Fanclub” verweisen können.

Längst hat sich der feine Herrenlikör zu einem Markenbegriff entwickelt. Was bedeutet: Wanne-Eickeler kehren nicht bei Willy Klein ein. Sie treffen sich bei „Immer Tofte”.

Wolfgang Laufs, Cranger Kirmes 2008, WAZ, 31. Juli 2008